Vernetzung und Innovation im Zürcher Sozialwesen: Ein Blick auf die Plattform Zürich Sozial

Die Plattform Zürich Sozial löst die «Infostelle» des Zürcher Sozialwesens ab, welche 1970 gegründet wurde. Zürich Sozial bietet nebst dem bewährten Fonds- und Stiftungsverzeichnis des Kantons Zürichs neu auch drei interaktive Angebote in einem jährlichen Zyklus: den Trend-Monitor, die Trend-Spotlights und das Reallabor. 

Zürich Sozial unterstützt und fördert den fachlichen Austausch und die Vernetzung zwischen Fachpersonen, Organisationen und Behörden im Sozialwesen des Kantons Zürich. 

Fiona Gisler, Co-Projektleiterin von Zürich Sozial

Um die Ziele und Angebote von Zürich Sozial genauer zu erläutern, haben wir Fiona Gisler, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Institut für Sozialmanagement, Departement Soziale Arbeit der ZHAW Zürich und Co-Projektleiterin von Zürich Sozial, zum Interview eingeladen.

Aline Beutler: «Welche Ziele und Ideen verfolgt Zürich Sozial?»

Fiona Gisler: «Zürich Sozial soll Fachpersonen, Institutionen und weitere Akteur/-innen aus dem sozialen Bereich des Kantons Zürich vernetzen. Uns ist bewusst, dass es bereits fachspezifische Gremien gibt, die sich regelmässig austauschen. Wir sind jedoch überzeugt, dass auch Personen aus anderen Fachbereichen voneinander profitieren können. Diese Öffnung wollen wir mit Zürich Sozial erreichen. Die Vernetzung soll sich mit aktuellen Trends im Sozialwesen auseinandersetzen und durch gemeinsame Lernprozesse zu innovativen Lösungen führen. Die Fachhochschule stellt die entsprechende Plattform zur Verfügung und bringt sich mit Fachwissen und ihrem Netzwerk ein. Uns ist es dabei wichtig, eine möglichst niederschwellige Plattform aufzubauen. Eine App wäre für die Zukunft wünschenswert, ist aber bisher finanziell noch nicht realisierbar.»

 

Aline Beutler: «Wer steckt hinter der Plattform?» 

Fiona Gisler: «Zürich Sozial ist ein Kooperationsprojekt zwischen dem Departement Soziale Arbeit der ZHAW und dem Kantonalen Sozialamt Zürich. Neu erhalten wir auch Unterstützung von Sozialinfo. Das ZHAW-Projektteam von Zürich Sozial besteht aus vier Personen, die im Institut für Sozialmanagement, Departement Soziale Arbeit tätig sind. Sozialinfo beteiligt sich in der Resonanzgruppe, an der Publikation von Ergebnissen und am geplanten Reallabor.»

 

Aline Beutler: «Wie haben Sie das Projekt gestartet?»

Fiona Gisler: «Um uns ans Thema heranzutasten, haben wir im Herbst 2023 eine Trend-Umfrage bei sozialen Institutionen aus dem Kanton Zürich durchgeführt. Im Vorfeld hatten wir eine Literaturrecherche zu Zukunftsforschung und aktuellen Entwicklungen im Sozialbereich durchgeführt.

Mit Hilfe der Software von REDCap konnten bereits während der Trend-Umfrage die Live-Resultate, inkl. Filterfunktion, mitverfolgt werden und sind nach wie vor auf der Webseite abrufbar. Im Anschluss haben wir das Online-Tool für unseren Trend-Monitor gemeinsam mit dem Softwareentwickler Dominik Wyss aufgebaut. Grundlage dafür war ein Partizipationstool aus der Demokratieforschung.»

 

Aline Beutler: «Wie haben Sie die entsprechenden Institutionen für die erste Umfrage ermittelt?»

Fiona Gisler: «Wir haben alle Institutionen, die im Adressverzeichnis der ehemaligen «Infostelle» gelistet waren, angeschrieben. Zudem haben wir unser eigenes Netzwerk eingebunden und auch Studierende auf unser Projekt aufmerksam gemacht.»

Trendthemen aus dem Sozialwesen, Umfrage 2023. © Zürich Sozial

Aline Beutler: «Wie war der Rücklauf?»

Fiona Gisler: «Der Rücklauf bei der offenen Trend-Abfrage war überraschend gut und sehr erfreulich. Insgesamt wurden rund 780 Eingaben von 250 Personen aus unterschiedlichen sozialen Bereichen gemacht. Daraus ergaben sich 16 Top-Trendthemen, die in der nebenstehenden Grafik herauszulesen sind. Desto öfter die Themen genannt wurden, desto grösser sind sie auf der nachfolgenden Grafik ersichtlich.

Daneben haben wir die sechs Trend-Themenbereiche, die sich in der Literaturrecherche zeigten, von den Teilnehmenden nach deren Relevanz in der eigenen Praxis einschätzen lassen. Die Teilnehmenden beurteilten alle sechs Trend-Themenbereiche durchschnittlich als sehr relevant. Aus den Antworten ergab sich folgende Priorisierung:

  1. Sich verschärfende soziale Ungleichheit
  2. Akuter Fachkräftemangel
  3. Beschleunigte Digitalisierung und technologischer Wandel
  4. Zunehmende Herausforderungen im Migrations- und Asylwesen
  5. Zunehmende Unsicherheit in Bezug auf politische / rechtliche Rahmenbedingungen
  6. Anstehende Umgestaltungen von Angeboten zu mehr Selbstbestimmung und Orientierung des Klientel

Auch die Trends aus der offenen Trend-Abfrage liessen sich gut in diese Trend-Themenbereiche einordnen.»

 

Aline Beutler: «Auf welchen Themen liegt der Fokus?»

Fiona Gisler: «Die Themen, bei welchen wir den höchsten Bedarf ermitteln, verfolgen wir jeweils im Projekt weiter. In den Trend-Monitor 2024 haben wir beispielsweise die 16 Top-Trends aus der Trend-Umfrage aufgenommen und von den Teilnehmenden nach Betroffenheit und Handlungsbedarf der eigenen Organisation einschätzen lassen. Zudem konnten erneut eigene aktuelle Themen eingegeben werden. Das Endresultat bestimmt, was wir in den nächsten Schritten angehen.» 

Anleitung zum Trendmonitor

Aline Beutler: «Was geschieht nun weiter?»

Fiona Gisler: «Die Trend-Umfrage diente als Vorlage, um ein passendes interaktives Tool zu erarbeiten: den Trend-Monitor. Er wird in Form eines Videos erklärt, siehe Abbildung und Link unten. Dort können jährlich die aktuellen Trends anonym bewertet, neue Themen eingegeben und in Form eines Chats diskutiert, Statements gelikt und dislikt werden. Der erste Trend-Monitor lief von April bis Ende Mai 2024. Die Ergebnisse sichten und diskutieren wir nun auch mit unserer Resonanzgruppe. Der identifizierte Bedarf entscheidet, welche brennenden Themen wir in die Trend-Spotlights und später ins Reallabor aufnehmen.»

Aline Beutler: «Was sind die Trend-Spotlights?»

Fiona Gisler: «Ausgewählte Ergebnisse des Trend-Monitors werden in den Trend-Spotlights aufbereitet. Hier vertiefen wir die brennendsten Themen bedarfsorientiert in passenden Formaten, z. B. thematische Dossiers, Experten-Chats / Expertinnen-Chats, Videos, Selbsttests, methodische Hilfsmittel, Vernetzungsmöglichkeiten und mehr. Die Spotlights sind auf der Plattform für alle Interessierten aufgeschaltet. Die ersten Trend-Spotlights folgen ab Sommer 2024.»

 

Aline Beutler: «Wie kann es von einem regen Austausch zur konkreten Umsetzung der innovativen Lösungen kommen?»

Fiona Gisler: «Indem wir im anschliessenden Reallabor im Herbst u. a. Entscheidungstragende, strategische Leitungen aus den Praxisorganisationen, der Hochschule und den Behörden zusammenbringen. Dabei werden 2 bis 3 Top-Trends thematisiert. Auf diese Weise können soziale, sozialarbeiterische und sozialpolitische Themen mehrperspektivisch diskutiert und relevante Wirkfaktoren erfasst werden. Zudem werden gemeinsam neue Handlungsansätze erarbeitet und Innovationen skizziert, die idealerweise auch in der Praxis zur Umsetzung kommen.»

 

Aline Beutler: «Ist geplant zu expandieren oder wird die Plattform ausschliesslich für den Kanton Zürich bereitgestellt?»

Fiona Gisler: «Zürich Sozial konzentriert sich in der Aufbauphase zunächst auf den Kanton Zürich. Durch die demografische und geografische Vielfalt im Kanton ist unsere Hypothese, dass die Trends des Kantons Zürich ein Stück weit auch auf die restliche Schweiz adaptiert werden können. Dennoch würden wir uns freuen, wenn das Projekt wachsen und auch auf andere Kantone ausgeweitet werden könnte. Erste Ideen dazu sind bereits im Gespräch.»

 

Aline Beutler: «Was waren die Highlights und Herausforderungen des Projekts?»

Fiona Gisler: «Unsere grösste Herausforderung ist es aktuell, den ohnehin bereits hochbelasteten Sozialbereich dazu zu bewegen, sich aktiv an unserem Projekt zu beteiligen. Das Projekt steht und fällt mit den unterschiedlichen Akteur/-innen aus dem Sozialbereich. Dieser Herausforderung versuchen wir entgegenzuwirken, indem wir den Nutzen der Plattform für den Sozialbereich klar definieren und eine möglichst niederschwellige Teilnahme ermöglichen, zum Beispiel durch geringe Hürden bei der Anmeldung zum Trend-Monitor. Durch Algorithmen, welche im Hintergrund laufen, wird die Trend-Ermittlung forciert. 

Bisherige Highlights innerhalb des Projekts sind abgeschlossene Zusammenarbeitsvereinbarungen und die bisher durchwegs positive Resonanz von Personen, die von unserem Projekt hörten, auch über den Kanton hinaus. Ebenfalls  sind die bisherigen Trend-Eingaben sehr reichhaltig und bieten viel Potenzial für die nächsten Projektschritte in Richtung einer strategischen Weiterentwicklung des Sozialbereichs. So zumindest unsere Hoffnung.»

 

Aline Beutler: «Wie sieht die Zukunft von Zürich Sozial aus?»

Fiona Gisler: «Die Plattform Zürich Sozial wird mit ihren interaktiven Angeboten sicherlich in den Jahren 2024 und 2025 umgesetzt. Danach erfolgt eine Evaluation, die über die Form der Weiterführung entscheidet.»

"Wir hoffen Zürich Sozial kommt zum Fliegen!"

Dank an Fiona Gisler, Co-Projektleiterin Zürich Sozial 

Wir bedanken uns ganz herzlich für diesen Einblick und wünschen viel Erfolg bei der Umsetzung der interaktiven Angebote der Plattform Zürich Sozial und drücken die Daumen für eine grosse Beteiligung. 

 

Sozialer Wandel durch gemeinsame Innovationen

Der Kanton Zürich macht es vor. Dank gezieltem Austausch können künftig Trends aus dem Sozialwesen bereichsübergreifend aktiv diskutiert werden. Innovative Ideen können dazu führen, dass sich die Institutionen wandeln und so bestenfalls Herausforderungen gemeistert werden können. Dies bedingt die Mitarbeit von Institutionen und Fachpersonen aus dem Sozialwesen im Kanton Zürich. 

Wer macht mit?

 

 

 

Abbildungen: